About Helmut Sturm
Helmut Sturm (1932-2008) is one of the most important representatives of abstract-expressive painting in Germany after 1945. He was co-founder of the Munich group SPUR (1957-65), which contributed significantly to the artistic spirit of the 1960s. With their witty-provocative manifestos and actions, the SPUR artists challenged politics and society to show new ways for art. As a member of the Situationist International (1959-62), they also succeeded in re-establishing an international network of the German art scene after years of war-related isolation. Up until the 1980s Helmut Sturm was the initiator of further artists’ groups (SPURWIR, GEFLECHT, KOLLEKTIV HERZOGSTRASSE) and, as a university professor in Berlin (1980-82) and Munich (1985-98), provided impulses for the following generation of artists.
Against the background of his early involvement with Cubism and Informel as well as artists such as Max Beckmann, Asger Jorn and Willem de Kooning, he found his powerful visual language of form and colour, which breaks down the spatial boundaries of the canvas. In an open painting process, pictures were created as spatially moving force fields in ever new variations of layering, rhythmicisation, swirling, wedging and breaking up the forms and colours. Helmut Sturm playfully combined abstraction with figuration, thus creating pictorial spaces that stimulate the viewer’s own imagination.
Wenn man die Bilder von Helmut Sturm vor dem inneren Auge Revue passieren lässt, denkt man wahrscheinlich nicht vorrangig an „Porträts“, an Gruppen- und Einzelporträts, an Tiere, Fabelwesen und Dämonen. Und doch spielen sie bei der Suche nach dem Wesen seiner Kunst eine wichtige Rolle. Betrachtet man das Gruppenporträt der Mitglieder der Gruppe SPUR (um 1960) oder die Porträts seiner ersten Frau Maria Matuella, von Lothar Fischer, des „Kardinals“, der „Paare“ und der „Zwischenfälle“ (1962) formt sich Inhaltliches, Symbolisches, Psychologisches, fratzenhaft Übersteigertes aus der Malerei selbst heraus. Parallel dazu entstanden Bilder wie die „Martyrien I-III“ (1960) und „Kalvarienberg“ (1960), auf denen menschliche Körper, Geschundene und Monstren, einen wahren Höllensturz entfachen. Um die Entfaltung ästhetischen Könnens ging es dabei nicht. Das wurde vorausgesetzt.
In diesen „metamorphotischen Figurationen“ (Helmut Sturm) erweist sich die Fläche als geschichteter Raum, als „Facettenraum“: Gebilde und Felder treten kraft ihrer unterschiedlichen Farben und Helligkeiten in verschiedenen Raumtiefen ineinander und auseinander. Formen überschneiden sich, überlagern einander und erzeugen so eine komplexe Raumordnung, in der Form und Hintergrund nicht eindeutig unterschieden werden können. Wir erkunden die Formen mit den Augen, tasten die Ränder ab und entdecken Strukturen. Ottmar Bergmann hat die Entstehung der Sturmschen Bildarchitekturen so auf den verbalen Punkt gebracht: „Helmut Sturm hat seine Malerei zu einer mächtigen, in den Raum vorstoßenden, offenen Figuration getrieben. Alles ist Bewegung, Strom, Schub, Ausweichen, Überschneiden oder Vorwärtsschreiten, vergleichbar mit den Abläufen des realen Lebens. Es entsteht das Bild als Spannungsfeld von Zug und Druck, von Widerstand und Auflösung“.
Zeiten und Räume
„Zeit ist eine Erfindung der Menschen, Raum ist der Palast der Götter“, schrieb Max Beckmann 1948 in den „Drei Briefen an eine Malerin“. Paul Klee unterschied zweierlei Arten von Raum: die Räumlichkeit eines Gegenstandes, den wir in unserem Blickfeld erfassen können, und den „wirklichen Raum“, der uns immer und grundsätzlich umgibt. Um diesen „wirklichen Raum“ ging es Helmut Sturm. In seinem gesamten Werk spielt die Behandlung des Raumes eine bedeutende Rolle. Raum und Bewegung gehörten für ihn in der Malerei untrennbar zusammen. Durch Bewegung entstand Raum und umgekehrt. Oder, um es mit den Worten Helmut Sturms (2001) zu sagen: „Das Thema beschäftigte mich ziemlich lang in immer neuen Variationen. Es gibt dazu sogar schon Bilder aus der Akademiezeit. Schon ein Bild von 1956 zeigt ein Fenster, damals natürlich anders gemalt. Ein Raum wird hergestellt, zugleich aber wieder in Frage gestellt und aufgehoben. Anstelle der Fenster können es natürlich genauso gut auch Türen oder andere Öffnungen sein. Eine Fläche wird geöffnet, eine andere geschlossen und verändert damit das ganze Bild. Das sind die Momente, wegen denen ich eigentlich male.“
Freude an der Theorie
In den zahllosen Notizbüchern, die Helmut Sturm hinterlassen hat, und die bis heute nicht erschlossen sind, ist wiederholt von der „Simultaneität verschiedener Raumsysteme“ die Rede. „Alles, was ich liebte war pers[pektivisch], auch wenn es gegen Informel verstieß“, lautet eine der Notizen (Spiral-Notizbuch S 2018/0).
„Zufall“ und „Notwendigkeit“, Symmetrie und Assymetrie waren Kategorien, über die er immer wieder aufs Neue nachdachte. „Kein Strich besitzt eine notwendige Funktion in der Gestaltung“, notierte er in seinen Notizbüchern. Und weiter:“[…] Ich plädiere] gegen die notwendige Funktion eines Details, das ist für die Kunsthistoriker, weil die das Schaffen des Bildes von hinten her [vom Ergebnis] betrachten, das ist dann natürlich alles retrospektiv […]“.
Der Maler, der ein exzellenter Kenner der Kunstgeschichte war und sich generell für Theorien über den Verlauf des Werkprozess interessierte, plante, „ein eigenes Buch über mein Denken auf Bildern herauszugeben“. Die Notizbücher sollten die Grundlage dafür bilden. Zu einem Buch ist es nicht mehr gekommen – nicht zuletzt wohl deshalb, weil Helmut Sturm so viel Freude am praktischen Schaffen hatte –, so dass wir beim Versuch der Annäherung an sein Werk vor allem auf die Bilder und Zeichnungen, Collagen und Assemblagen angewiesen sind. Auf Zeugnisse einer künstlerischen Konfession, die bis zu einem gewissen Grad immer deutungsoffen bleiben werden, was ganz im Sinne von Helmut Sturm wäre.
Gruppendynamik
Geboren wurde er am 21. Februar 1932 in Furth im Wald in der Oberpfalz. Eine Herkunft, die für seinen Werdegang nicht konstituierend war, aber auch nie ganz in den Hintergrund trat. Nüchtern konstatierte er 2008 gegenüber dem Kulturjournalisten Harald Raab: „Ich habe die ersten 20 Jahre meines Lebens hier verbracht, das prägt einen bis heute“. Nicht zuletzt wuchsen Heinrad Prem und Lothar Fischer, zwei seiner Mitstreiter in der Gruppe SPUR, ebenfalls in der Oberpfalz auf. Unweit von Helmut Sturms Geburtsort, in Cham, befindet sich seit 1991 das SPUR-Museum.
Der früh erwachte Wunsch, Künstler werden zu wollen, nicht Kaufmann, wie sein Vater, wandelte sich an der Chamer Oberrealschule zur Gewissheit. Für einen Oberpfälzer mit musischen Begabungen und diesen Ambitionen war es naheliegend, an der Münchner Kunstakademie zu studieren. Schauen wir uns die wenigen erhaltenen Bilder und Papierarbeiten an, die während seiner Studienzeit in München entstanden, genauer an, weisen sie schon früh ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Originalität auf. Als Schüler und späterer Meisterschüler von Erich Glette, einem geschätzten, aber künstlerisch weit entfernt stehenden Lehrer, lernte Sturm seine späteren Mitstreiter in den verschiedenen Künstlergruppen kennen, denen er Motor und spiritus rector wurde. Noch während des Studiums (1957) gründete er gemeinsam mit Heimrad Prem, Lothar Fischer und HP Zimmer die Gruppe SPUR, mit der ein ästhetisch neues, von der art brut, dem Informel, der Kunst des späten Mittelalters und des Barock gespeistes Kapitel der deutschen Nachkriegskunst aufgeschlagen wurde. Im Geist einer als revolutionär empfundenen späten Moderne, reiste man gemeinsam, besuchte Ausstellungen in anderen Städten, diskutierte bis zum Exzess und malte kollektiv. „Wenn wir zusammen malen“, schrieb Heimrad Prem, „stellt Sturm die Gesetze auf, die Zimmer und ich verletzten, ja mit anderen Gesetzen bekämpfen.“ Gelegentlich war der dänische Künstler Asger Jorn (1914-1973), dem Helmut Sturm in herzlicher Freundschaft verbunden war, ein inspirierender Gast der Gruppe. Auch Lothar Fischer sah die Funktion Helmut Sturms ähnlich, wenn er in der Rückschau (1979) bemerkte: „Sturm war der Utopist, der ein großes Fernziel hatte. Und er war immer für alle da, er war als Gruppenhaupt wirklich der richtige Mann, weil er immer alles zusammengefaßt hat und uns gehindert hat daran, einen privaten Interessenverband daraus zu machen, oder eine vordergründige Ausstellungsgemeinschaft.“
1958 erschien das erste SPUR-Manifest und die SPUR-Grafikmappe mit 12 Radierungen der Künstler und Texten von Asger Jorn, Hans Platschek und Conrad Westphal. So erscheint es folgerichtig, dass Helmut Sturm während eines Parisstipendiums (1958) Kontakt zu Guy Debord, dem Wortführer der „Situationistischen Internationale“, aufnahm. Wohl nicht in dessen, die Künstler zur politischen Aktion drängendem Sinn war es, dass er in der Pariser Galerie Claude Bernard Originale von Wols entdeckte, die ihn zu filigranen, weiß gehöhten, tachistischen Papierarbeiten anregten.
Die in den frühen 1960er Jahren einsetzende Begegnung mit der amerikanischen Pop-Art blieb für Helmut Sturm künstlerisch letztlich folgenlos, da in ihrem Umfeld, wie er erklärte, die „sinnlichen Qualitäten, die für uns entscheidend waren, gar nicht mehr gefragt waren.“ Bilder wie „Pur“ (1964), „Volvo“ (1965) und „Der Rote“ (1965) zeugen davon, wie er den neuen Stil mit collagierten Zeitungsausrissen und Buchstabenfolgen auf sehr eigenwillige, ja fast lyrische Weise in sein Werk integrierte.
Die weiteren Stationen der „Gruppengenealogie“, die über die „Antiobjekte“ der Gruppe „Geflecht“ (1965-1968) bis zum nunmehr zwölfköpfigen „Kollektiv Herzogstraße“ (1975-1982) führten, sind hinlänglich bekannt und sollen hier nicht nachgezeichnet werden. Im „Kollektiv“ rückte die spielerische, zuvor teilweise ideologisch überlagerte und beiseite gerückte Auseinandersetzung mit der Kunst wieder in den Vordergrund. Die Freude am spontanen Malen und Formen ließ die Lust an Grundsatzprogrammen und Manifesten langsam verblassen. In all diesen geistig, künstlerisch und ideologisch aufregenden und aufgeregten Jahren hat Helmut Sturm immer wieder an gemeinschaftlichen Mal- und Gestaltungsprozessen teilgenommen, aber parallel dazu eigene Werke geschaffen.
Malen als Mäeutik
Der pädagogische, selten didaktische Eros, der Helmut Sturm beseelte, bewirkte, dass er 1970 mit anderen Künstlern, das bis heute bestehende „Kinderforum van de Loo“ begründete – eine Malschule, in der die kreativen Fähigkeiten von Kindern gefördert werden. Von 1980 bis 1982 war er als Gastprofessor an der „Hochschule der Künste“ (heute: Universität der Künste) in Berlin tätig. 1985 wurde er als ordentlicher Professor an die Münchner Kunstakademie berufen, übernahm den Lehrstuhl für Malerei, den bis 1982 Günter Fruhtrunk innehatte, und lehrte dort bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998. Die Arbeit mit den Studenten empfand er als fruchtbar. In langen, intensiven Gesprächen analysierte er die Studentenarbeiten und reflektierte dabei auch seine eigenen künstlerischen Positionen. Im Rückblick charakterisierte er diese Zeit als produktiv und beflügelnd, seine Malerei erhielt einen Produktivitätsschub, der bis in die späten 1990er Jahre reichte.
Als Professor in Berlin und München war er geschätzt und beliebt. Aber auch viele Kolleginnen und Kollegen außerhalb der berühmten und bekannten Künstlergruppen haben bei Gruppenausstellungen seine konstruktive, unaufgeregte Art, sein katalysatorisches Wirken und seine menschlichen Qualitäten erleben können. Intrigen und taktisches Verhalten waren ihm fremd. Wurde er mit ihnen konfrontiert, war er manchmal erstaunt und verwundert. Natürlich konnte er auch widerständig und widerspenstig sein. Doch anstatt mit den gleichen Waffen zu reagieren, versuchte er in der Regel, Brücken über die Gräben zu bauen.
Im Dialog mit den Bildern
In den 1980er Jahren setzte eine Rückbesinnung auf das Erbe des „Abstrakten Expressionismus“ ein – insbesondere auf die Malerei von Willem de Kooning, Richard Diebenkorn und James Brooks – und führte zu einer Malerei, in der häufig alle figürlichen und gegenständlichen Allusionen getilgt sind. Rote, blaue, gelbe und grüne Farbschattierungen entwickeln eine Sprengkraft, die die Bilder in Wirbel rotierender Formen verwandelt. Diagonalen und Diagonalenfragmente spalten sie, ohne sie in ihre Bestandteile zu zerlegen. Ungeachtet aller dionysischen Gesten werden Maß und Struktur nicht aus den Augen verloren. Im späteren Werk „tauchen immer wieder bestimmte Dinge auf“ – so Helmut Sturm in einem Interview von 2001 –, „die früher schon ansatzweise vorhanden waren, und bekommen nun einen neuen Zusammenhang. Ich habe bestimmte Vorstellungen, dann male ich und komme durch das Malen wieder auf andere Dinge. Man hat immer schon Bilder im Kopf. Der Film im Kopf ist ein ganz anderer als der, der dann beim Malen tatsächlich abläuft. Immer wieder wird umgeworfen, was man im Kopf hatte. Oft ist das auch schmerzlich. Es entwickelt sich nicht so, wie man es gern möchte, dafür kommt man durch den Prozess auf etwas anderes, was immer mit Veränderungen während des Malvorgangs zu tun hat. Eine gemalte Vorstellung befriedigt mich ja meistens nicht. Ich will eher etwas entdecken. Und das kommt dann in Konflikt mit den ursprünglichen Vorstellungen. Dieser Streit oder Dialog dauert solange, bis etwas herauskommt, das ich so vorher nicht kannte. So habe ich auch immer wieder Bilder aus früheren Jahren und sogar Jahrzehnten überarbeitet. Genau das ist es, was einen in Spannung hält.“
Seine Bildformate blieben überschaubar und fügten sich damit ein in sein übriges Œuvre. Riesige Formate, die gerade in dieser Zeit wieder üblich wurden, mochte er nicht. Einige große Leinwände, die während der Gruppen-Arbeit gemeinschaftlich bemalt wurden, bilden die Ausnahme. Helmut Sturm selbst wollte immer auf Flächen malen, die er auch mit den Händen umgreifen konnte, die einen direkten Bezug zu seinem eigenen Körper besaßen. Die Übersetzung von Entwürfen auf große Leinwände, die der Hilfe von Assistenten bedurft hätten, war seine Sache nicht. Er wollte vor der Leinwand selbst agieren, spontan und gleichzeitig kontrolliert – über viele Zwischenschritte hinweg.
Kraftvolles Spätwerk
Zu Beginn des neuen Jahrtausends war die Malerei von Helmut Sturm noch immer expressiv, kraftvoll und dynamisch, doch anders als zuvor, weisen viele Bilder aus dieser Zeit einen durchgeformten Bildraum auf, nicht unbedingt eine Harmonie der Teile, aber ausgewogene Spannungsverhältnisse statischer und dynamischer Bildpartien. Disparate, splittrige, verwirbelte Strukturen, die über die Bildgrenzen hinaus ins Freie und Unbegrenzte streben, sind nicht verbannt, doch seltener geworden, und sie suchen das Verbindende, die Beziehung zueinander. Die Farben fließen, sind differenziert und werden zugleich von festen oder sich verfestigenden Strukturen in einem labilen Gleichgewicht gehalten.
„Helmut Sturm ist ein leidenschaftlicher Maler und Kolorist“, schrieben Lothar Fischer – der Freund und Weggefährte aus „Spur“-Tagen – und der Bildhauer und Graphiker Andreas Bindl 1994 über den Künstlerkollegen. „Er setzt sich immer wieder dem Chaos aus und dem komplizierten Spannungsfeld, das zwischen der Dynamik der Geste und des Raumes und dem im wesentlichen flächenhaften Prinzip der Farbe und der Bildtafel besteht.“ Für den primären Maler, der immer noch heller und noch farbiger malen wollte, gab es kein Sehen, dass nicht ein Sehen von Farben gewesen wäre. Von dieser Erfahrung ausgehend hat er mit seinen Bildern ein Verhältnis zur Welt formuliert. Sie spiegeln eine Reihe von Möglichkeiten, die Welt zu sehen und zu deuten. Sie geben tiefe Einsichten wieder, die von den Dingen auf anderem Wege nicht preisgegeben werden. Doch sie bleiben nicht bei der Deutung stehen, sondern fügen diesem Verhältnis durch die Kraft ihrer künstlerischen Gestaltung etwas Eigenes, Aktives und Unverwechselbares hinzu.
Die Faszination, die von diesen Bildern ausgeht, ist eine Faszination der Stille. Die in- und übereinander gelegten Farbfelder überfallen den Betrachter nicht, sie erschließen sich erst dem länger verweilenden Blick. Dann aber entfalten sie ihre Wirkungen gegeneinander und miteinander, klingen zusammen in Harmonie und Kontrast. Das Unvermischte, Grelle und Dissonante tritt im Spätwerk in den Hintergrund. Die Farben entfalten sich in einer breiten Skala unterschiedlicher Helligkeit und Intensität in vielen Nuancen und Schattierungen. Statische Grüntöne werden gegen Gelb, Orange und dunkle Rottöne gesetzt. An vielen Stellen bahnen sich blaue Farbbäche und -inseln ihren Weg aus dem Grund an die Bildoberfläche.
Meerblicke und Steinbrüche
Verweilen wir noch einen Augen-Blick bei den späten, bis heute zuwenig gewürdigten Papierarbeiten, die insbesondere seit 2005 entstanden sind. Viele davon in Italien. Natürlich gab es auch früher kleinformatige Papierarbeiten in seinem Werk, auch schon während der Studienzeit an der Akademie, aber die späten Aquarelle haben die jahrzehntelange Erfahrung mit der Malerei gleichsam in sich aufgenommen. Sie richten den Blick auf die Landschaft, ohne diese darzustellen. Auf den Gebirgszug des Appenin, auf Wälder, das Meer und die Küstenlinie. Helmut Sturm, der nie ein Gefühlsmaler gewesen ist, ein „Bauchmaler“ schon gar nicht, spricht hier den Betrachter unmittelbar an. In einem Brief an Pia Dornacher von 1999 schrieb er: „Um Impulse aus dem Bauch verwerten zu können, ist die Beteiligung der Augen, des Unter-, des Vor- und des Bewusstseins ganz unerlässlich.“ Dies nachzuerleben, ist bei manchen Papierarbeiten direkter möglich als vor einer größeren Leinwand, deren Teile sich im Auge erst langsam zusammenfügen müssen. Die „Steinbruch-Serie“ (2007), inspiriert von einem Steinbruch in Anghiari, legt auf exemplarische Weise Zeugnis davon ab, wie es dem Maler gelungen ist, „Bildarchitekturen“ zu schaffen, die die Natur verwandeln und auf eine neue Weise erlebbar machen. Aus der Begegnung mit der Natur – oder besser mit der Außenwelt – formte Helmut Sturm Bilder, die weder deskriptiv sind, noch eine symbolische Botschaft enthalten.
In seinem reichen Schaffen hat Helmut Sturm einen langen Weg, eine Suchwanderung, zu immer größerer Einfachheit, Dichte und Konzentration zurückgelegt. Als er am 19. Februar 2008 nach längerer Krankheit starb, hinterließ er ein überaus vielgestaltiges Werk, dessen Teile bisher noch längst nicht umfassend erschlossen sind. Sein Werk wird in dem Maße lebendig bleiben, in dem wir es immer wieder selbst zu Wort kommen lassen, in dem wir es immer wieder neu wahrnehmen. In dem wir es auf uns wirken lassen.
Andreas Kühne